Impuls zum 1. August 2021
Von Birgit Wehner, Mitglied im pax christi-Bundesvorstand und im Diözesanvorstand Rhein-Main (Karben)
Lesung
Ex 16, 2-4.12-15
Ps 78 (77), 3-4b.23-24.25 u. 54 (R: 24b)
Eph 4, 17.20-24
Evangelium
Joh 6, 24-35
Geh aus, mein Herz und suche Freud
1. Geh aus, mein Herz, und suche Freud
in dieser lieben Sommerzeit
an deines Gottes Gaben;
Schau an der schönen Gärten Zier,
und siehe, wie sie mir und dir
sich ausgeschmücket haben.
2. Die Bäume stehen voller Laub,
das Erdreich decket seinen Staub
mit einem grünen Kleide;
Narzissus und die Tulipan,
die ziehen sich viel schöner an
als Salomonis Seide.
3. Die Lerche schwingt sich in die Luft,
das Täublein fliegt aus seiner Kluft
und macht sich in die Wälder;
die hochbegabte Nachtigall
ergötzt und füllt mit ihrem Schall
Berg, Hügel, Tal und Felder.
Das Lied von Paul Gerhard (1607-1676) geht mir in den letzten Wochen dauernd im Kopf herum, wenn ich in unseren Garten schaue. Er ist derzeit so schön wie schon seit Jahren nicht mehr, weil es im Vergleich zu den Vorjahren ordentlich geregnet hat „Der liebe Gott gießt.“
Andererseits bleiben mir die Worte von Paul Gerhard im Hals stecken angesichts der Bilder von der furchtbaren Überschwemmungskatastrohe der letzten beiden Wochen. „Ich rede nicht mehr mit Gott.“ wurde ein Pfarrer aus dem Überschwemmungsgebiet in der Bildzeitung zitiert.
Bei den Informationen zur Corona-Pandemie hier und in aller Welt machen sich eher kritische Fragen, Zweifel und Wut breit statt lyrischer Texte.
Doch dabei geht es hier nicht um einen Text aus der Romantik und aus irgendwie besseren Zeiten. Und Paul Gerhard ist kein weltfremder Spinner. Der berühmte evangelische Theologe schrieb das Lied 1653. Da war Paul Gerhard Pfarrer in Mittenwalde, einer kleinen Stadt südlich von Berlin. Der 30-jährige Krieg war gerade 5 Jahre vorbei. Krieg, marodierende Soldaten, große Hungersnöte und die Pest hatten die Einwohnerzahl des Städtchens um drei Viertel dezimiert. Paul Gerhard hatte unter diesen Plagen gelitten, sein Bruder war jung an der Pest verstorben. Und auch theologische Auseinandersetzungen und politischer Druck machten ihm zu schaffen.
Eine von vielen Geschichten erzählt zur Entstehung des Lieds, dass Paul Gerhard an einem Mittag an seiner Predigt für den Sonntag arbeitet und ob allen vergangenen und gegenwärtigen Kummers so recht nicht weiterkam.
Er ging hinaus in den Garten, setzte sich und beobachtete alles um sich herum:
6. Die unverdrossne Bienenschar
fliegt hin und her, sucht hier und da
ihr edle Honigspeise;
des süßen Weinstocks starker Saft
bringt täglich neue Stärk und Kraft
in seinem schwachen Reise.
7. Der Weizen wächset mit Gewalt;
darüber jauchzet jung und alt
und rühmt die große Güte
des, der so überfließend labt,
und mit so manchem Gut begabt
das menschliche Gemüte.
Ich stelle mir vor, Paul Gerhard hat hier mit seinem Glauben die Kraft gefunden, die Gräuel und Verwüstung rund um sich nicht das letzte Wort haben zu lassen. Hat Vertrauen gefunden in das Wirken Gottes in der Welt, in die gute Schöpfung, in die Gott den Menschen gesetzt hat. Davon zeugen die folgenden Strophen:
8. Ich selber kann und mag nicht ruhn,
des großen Gottes großes Tun
erweckt mir alle Sinnen;
ich singe mit, wenn alles singt,
und lasse, was dem Höchsten klingt,
aus meinem Herzen rinnen.
9. Ach, denk ich, bist du hier so schön
und lässt du’s uns so lieblich gehn
auf dieser armen Erden;
was will doch wohl nach dieser Welt
dort in dem reichen Himmelszelt
und güldnen Schlosse werden!
Paul Gerhard fasst aus der Schöpfung Mut, Hoffnung, Zuversicht und die Vorfreude auf das Paradies. Und genauso Verantwortung für die Schöpfung im Hier und Jetzt. Und er bittet Gott um Beistand, die Welt mit Gutem zu füllen und das Seine beizutragen:
10. Welch hohe Lust, welch heller Schein
wird wohl in Christi Garten sein!
Wie muss es da wohl klingen,
da so viel tausend Seraphim
mit unverdroßnem Mund und Stimm
ihr Halleluja singen?
11. O wär ich da! O stünd ich schon,
ach süßer Gott, vor deinem Thron
und trüge meine Palmen:
So wollt ich nach der Engel Weis
erhöhen deines Namens Preis
mit tausend schönen Psalmen.
12. Doch gleichwohl will ich, weil ich noch
hier trage dieses Leibes Joch,
auch nicht gar stille schweigen;
mein Herze soll sich fort und fort
an diesem und an allem Ort
zu deinem Lobe neigen.
13. Hilf mir und segne meinen Geist
mit Segen, der vom Himmel fleußt,
dass ich dir stetig blühe;
gib, dass der Sommer deiner Gnad
in meiner Seele früh und spat
viel Glaubensfrüchte ziehe.
14. Mach in mir deinem Geiste Raum,
dass ich dir werd ein guter Baum,
und lass mich Wurzel treiben.
Verleihe, dass zu deinem Ruhm
ich deines Gartens schöne Blum
und Pflanze möge bleiben.
15. Erwähle mich zum Paradeis
und lass mich bis zur letzten Reis
an Leib und Seele grünen,
so will ich dir und deiner Ehr
allein und sonsten keinem mehr
hier und dort ewig dienen.
Im Licht der Zeichen, die Paul Gerhard aus der Natur mitnimmt, lassen sich die Worte des Sonntagsevangelium zum 1. August verstehen:
Jesus antwortete ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Ihr sucht mich nicht, weil ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil ihr von den Broten gegessen habt und satt geworden seid. 27 Müht euch nicht ab für die Speise, die verdirbt, sondern für die Speise, die für das ewige Leben bleibt und die der Menschensohn euch geben wird! Denn ihn hat Gott, der Vater, mit seinem Siegel beglaubigt. 28 Da fragten sie ihn: Was müssen wir tun, um die Werke Gottes zu vollbringen? 29 Jesus antwortete ihnen: Das ist das Werk Gottes, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat. 30 Sie sagten zu ihm: Welches Zeichen tust du denn, damit wir es sehen und dir glauben? Was für ein Werk tust du? 31 Unsere Väter haben das Manna in der Wüste gegessen, wie es in der Schrift heißt: Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen. 32 Jesus sagte zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. 33 Denn das Brot, das Gott gibt, kommt vom Himmel herab und gibt der Welt das Leben. [2] 34 Da baten sie ihn: Herr, gib uns immer dieses Brot! 35 Jesus antwortete ihnen: Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben. (Joh 6, 24-35)
Chaos und Zerstörung haben nicht das letzte Wort, weil Gott in seiner Schöpfung wirkt. Weil er da ist in Not und Leid und gibt, was wir brauchen. Wir sehen das in der Natur der schönen Sommertage genauso wie in der Solidarität, die es für die Opfer der Flutkatastrophe gibt, im Einsatz der jungen Menschen von Fridays for Future, in der Forschungsarbeit vieler Wissenschaftler rund um Corona und in dem vielfältigen Engagement von Menschen in und um pax christi!
Hilf mir und segne meinen Geist
mit Segen, der vom Himmel fleußt,
dass ich dir stetig blühe;
gib, dass der Sommer deiner Gnad
in meiner Seele früh und spat
viel Glaubensfrüchte ziehe.
Hier noch ein Link zu einer der vielen Interpretationen des Lieds auf Youtube vom „Corona Virtual Choir": https://www.youtube.com/watch?v=kpgw1b4Md54